"Schmeckt wie eine flüssige Mettwurst!"
Ich hebe das schmale Glas und rieche an dem schwarzen Bier. „Es riecht nach Speck“, findet mein linker Tischnachbar. „Ich finde, es riecht eher nach Harzer Käse. Oder vielleicht auch etwas nach Lakritz?“
Foto: Jasmin Klein
Wir sitzen an einem großen Tisch, irgendwo in der zweiten Etage des Schokoladenmuseums. Es ist Samstagabend, und 20 Menschen nehmen an der seit Wochen ausgebuchten Veranstaltung „Schokoladen & Bier Verkostung“ teil. Für die Schokolade ist Nick Brisnik vom Schokoladenmuseum zuständig, seit Jahren Verkoster und Connaisseur, den man auch für seine spannenden und launigen Brauhaus- und Stadtführungen schätzt. Für die Auswahl der Biere sorgt Sebastian Sauer von Bierkompass und Freigeist Bierkultur. Er gilt als eines der größten Bier-Talente Deutschlands, der selbst weltweit Biere komponiert und braut. Um halb sieben, während die meisten Besucher des Schokoladenmuseums sich schon wieder im Foyer versammeln, um nach Hause zu gehen, trifft sich eine Gruppe Fremder vor der Garderobe, die eines eint: Wir trinken Bier und mögen Schokolade. Wer sonst sollte sich hier anmelden? ‚Wir’ sind 13 Touristen aus Trier, ein Ehepaar, das sich die Verkostung zum Geburtstag geschenkt hat, ein Paar, das selbst ein Bier-Geschäft in Longerich hat, vier junge Männer aus Lörrach, die das Leben nach Berlin und Köln gespült hat und die das Event für einen Einstieg in die Samstag Nacht nutzen, und ich, passionierte Weintrinkerin. Wir werden von Nick Brisnik und Sebastian Sauer empfangen. Brisnik, ein charmanter Mann um die 40, erklärt uns, dass er erst durch das Schokoladenmuseum führt, bevor wir dann zur Verkostung kommen. Brav laufen wir hinter ihm her. Ein Highlight der Führung ist, wie für jede Grundschulklasse, so auch für uns, das Tropenhaus. Alleine schon die Schleuse bringt die Herrschaften aus Trier zum Kichern. Für weitere Lacher sorgt Brisnik, als er pointen-, aber auch lehrreich die Kakao- und Vanillepflanzen erklärt. Wir testen jeder eine Kakaobohne, laufen durch die Schokoladenproduktion, die Brisnik kurzweilig erläutert, und finden uns dann im zweiten Stock wieder. Hier gibt es einen Raum, in dem die Verkostung stattfinden wird. An zwei große Tische passen jeweils 12 Personen. Auf jedem der Tische stehen zwei Wasserkrüge, ein Spuckkrug (nein, man kann auch reingießen), und Brot zum Neutralisieren wird gereicht. Sebastian Sauer bereitet uns auf die Verkostung vor: „Hier werden Sie Schokoladen probieren, die ungewöhnlich im Geschmack sind. Auch die Biere sind anders. Es werden neue Geschmackserlebnisse stattfinden. Sie erwarten sieben verschiedene Biere, und sieben verschiedene Schokoladen, alle aufeinander abgestimmt, ausgewählt und fein. Ich werde jetzt in der Küche verschwinden und den ersten Gang Bier vorbereiten.“ Die Gruppe freut sich. Ich komme mit meinen Tischnachbarn zur Rechten ins Gespräch. Ein Ehepaar, das gerade in Longerich ein Geschäft mit Craft Beer eröffnet hat. Ralf Guerra erklärt mir, dass die Craft Beer-Bewegung in Deutschland noch sehr jung ist und die Hochburgen in Hamburg und Berlin sind. Aber Psst, der erste Gang wird serviert. Nick Brisnik bringt uns einen großen Teller kleiner Stücke einer Schokolade. Dazwischen liegen rosafarbene Kügelchen. Er verrät uns (noch) nicht, um welche Geschmacksrichtung es sich handelt. Er empfiehlt uns, erst mal selbst zu schmecken, und auch nicht laut zu sagen, WAS wir gerade schmecken. Damit auch unsere Tischnachbarn sich auf ihre eigenen Sinne konzentrieren können. Sebastian Sauer kommt nun aus dem Nebenraum und schenkt jedem von uns ca. 0,15l Bier ein. Die beiden Verkoster geben uns den Tipp: Erst mal riechen, bevor man probiert. Einen kleinen Schluck Bier, dann die Schokolade lutschen und nicht kauen, dann wieder das Bier ansetzen. Ich schmecke etwas Zitroniges. Und plötzlich auch eine Schärfe. Ingwer? Ist nun die Schokolade scharf oder das Bier? Die Auflösung: Kein Ingwer, sondern ‚Hot Apricot Orange’. Oder kommt das ‚Hot’ dann doch vom Ingwer? Bei diesem Bier hätte man Schwierigkeiten, betrunken zu werden. Denn schon bei der zweiten Bestellung in der Kneipe wird man es nicht mehr richtig aussprechen können: „Das ‚Kissmeyer Witchy Woman Wit’ hat fünf Prozent und kommt von einem dänischen Brauer aus Kopenhagen, der seine Kreationen u.a. in Dänemark, im Libanon und den USA braut und von Dänemark aus vertreibt. Er arbeitet viel mit nordischen Elementen wie Sanddorn, Johannisbeer und Hibiskusblüten“, erklärt uns Sauer. Ein Gast aus Trier wird bei den Zutaten jetzt aber hellhörig: „Was ist denn mit dem Reinheitsgebot?“ Sauer: „Das Reinheitsgebot ist nichts anderes als die Auswahl der Zutaten. Es kann der schlechteste Hopfen verwendet werden – es ist aber trotzdem gemäß Reinheitsgebot. Das wäre so, als dürfte man nur das als Brot bezeichnen, was nur mit Mehl, Wasser und Hefe zubereitet wurde. Keine Rosinen, keine Karotten, keine Kürbiskerne. Das Reinheitsgebot schränkt die Vielfalt ein.“ Meinem Tischnachbarn zur Linken fällt auf: „Im Libanon? Der braut im Libanon?“ „In nahezu jedem Land der Welt gibt es Brauereien, auch im Iran.“
Die Gäste sind beeindruckt. Sauer: „Die Craft Beer Bewegung begann in den späten 70ern, frühen 80ern in den USA. Das Bier dort ist sehr beliebig und nicht kräftig, weil es allen gefallen will. Alle brauen so, dass es möglichst vielen schmeckt. Keiner traut sich was. Auch in Deutschland gibt es dieses Phänomen der sogenannten ‚Warsteinerisierung“. Jahrzehntelang wurde immer billiger, mit wenig Hopfen und Malz und kostengünstig produziert, da konnten irgendwann die kleinen Brauereien nicht mehr mithalten. Jetzt gibt es auch bei uns in Europa und Deutschland immer mehr Craft Beer Brauer, die keine eigenen oder sehr kleine Brauereien haben. Ich selbst habe u.a. auch in Mailand, San Diego und Rio de Janeiro gebraut und vertreibe das Bier dann von Köln aus.“ Nick Brisnik erläutert uns die nächsten Schokoladen. Der zweite Gang hat nun aber wirklich Ingwer dabei, und die mit Fleur de Sel erkenne ich und mochte ich schon immer. „’Bitterschokolade’ heißt es ab 50% Kakaoanteil. Wobei die bittere durch mehr Kakaobohnen auch mehr Fett enthält als die klassische Vollmilchschokolade“, erklärt Brisnik. Nun werden die Biere im Geschmack gewagter. Ein erster Aha-Effekt geht beim ‚De Molen Mooi & Meedogenloos’ durch die Runde. Das Bier ist nahezu schwarz und riecht nach Lakritze, Speck und Harzer Käse. „Es gibt Gäste, die sagen zu diesem Bier: ‚Schmeckt wie ’ne flüssige Mettwurst!’. Das liegt an dem starken Röstmalz. Je länger man das Malz röstet, umso dunkler und kräftiger wird der Malzeindruck.“ Einige Gäste ziehen die Chili & Honey Schokolade dem ‚Bloed, Zweet & Tranen’-Bier bei diesem Gang vor. Etwas zu außergewöhnlich. Ich trinke aus. Der Geschmack ist nicht so wild wie der Geruch ihn ankündigt.
Foto: Tamara Soliz
„Es handelt sich hier um ein dunkles Starkbier, röstmalzig, aus den Niederlanden. Ein ungewöhnlicher Geschmack für viele, aber man kann das vielleicht auch mit dem Traubensaft vergleichen: Trinkt man sein Leben lang nur Traubensaft und probiert dann seinen ersten Rotwein aus dem Barrique, wird man den Wein-Geschmack auch gewöhnungsbedürftig finden“, sagt Sauer. Der nächste Gang setzt dem vorherigen noch einmal eine Krone auf: Ähnlich schwarz, ähnlich intensiv, aber nun sind wir es schon gewohnt, und alle trinken es genussvoll aus. Die Orange-Pralinen-Schokolade dazu ergänzt den intensiven Geschmack auf eine gute Art. „Von diesem Bier kosten 0,3 Liter 4-5 Euro.“ Oha. Ein teurer Rausch. Wobei das jetzt sowieso kein Bier ist, das man nebenbei beim Fußball gucken zischen würde. Zum Schluss kommen wir zum IPA, das ich ja schon in der Fetten Kuh kennen gelernt habe: Das Indian Pale Ale, extra stark eingehopft und mit viel Alkohol, damit es im 19. Jahrhundert den langen Seeweg von Britannien nach Indien in die Kronkolonie unbeschadet als Bierkonzentrat überstand. Dort wurde es dann aber nicht mehr mit Wasser verdünnt, weil der Geschmack komplett überzeugte. Obwohl es ein sehr starkes, hopfiges Bier mit 8% ist, wirkt es nach den beiden kräftigen Vorgängern fast schon mild und süßlich.
Foto: Jasmin Klein
Das letzte Bier des Abends, von dem niederländischen Brauer so zärtlich auf ‚Bommen & Granaten’ getauft, ist mein persönliches Highlight. Ich lasse mir von Herrn Brisnik noch einmal nachschenken. Auch die Schokolade des letzten Gangs ist ein Highlight: Mit Rosmarin, Limette und Pfeffer. Finden nicht alle so toll wie ich, da bleibt für mich eben mehr übrig. Leider kann man nicht alle probierten Schokoladen im Museum kaufen, antwortet mir Brisnik auf meine Frage. Denn der Shop (der jetzt um 21 Uhr eh schon seit zwei Stunden geschlossen ist) gehört zu Hussel und hat nicht die Bandbreite an Geschmäckern, die wir heute Abend erfahren durften. Die kurzweilige, aufregende und höchst lehrreiche Verkostung findet nun ein Ende. Die beiden Experten haben auf ihre charmante, fröhliche und auch fürsorgliche Art dafür gesorgt, dass wir uns auf neue Geschmacksfelder getraut und uns gemeinsam und uns selbst besser kennen gelernt haben. Wir lassen alles stehen und liegen und versuchen, uns die steinerne Wendeltreppe ohne Blessuren vom zweiten Stock herunterzudrehen. Zweieinhalb Umdrehungen später stehen wir vor dem beleuchteten Schokoladenmuseum und sind auf eine schöne Art bereit für den weiteren Verlauf des Abends.
Der Artikel erschien zuerst in Meine Südstadt