Kritzeln mit Konfettipistole
„Es gibt einen Punkt, da merkt man, dass man mit dem Publikum gemeinsam auf einer Humor-Ebene ist. Ab da kann ich mich drauf verlassen, dass ich es für mich gewonnen habe. Das ist das Schönste!“.
Ich treffe Micha Marx. Am 26. September wird er im Ateliertheater in der Kölner Roonstraße auf einer Leinwand seine gekritzelten Geschichten, die „Kritzel-Comedy“, ein eigens für ihn erfundenes Genre, zeigen.
Was war zuerst da, das Kritzeln oder die Comedy?
Ich zeichne, seit ich einen Stift in der Hand halten kann. Früher mussten Schulhefte und Schulbänke dran glauben, die ich dann zur Strafe abschleifen und neu lackieren musste. Ich ging im Schwäbischen auf eine Waldorfschule und habe dort viel gehäkelt, mit Holz gearbeitet und auch geschrieben. Mit 13 begann ich, Beschwerdebriefe an Unternehmen zu schreiben, um mir Produkte zu erschleichen: Ich beschwerte mich bei Haribo, dass es immer so viele grüne Gummibärchen in der Tüte gibt, die ich aber gar nicht mag. Ich bekam daraufhin von Haribo ein großes Paket geschickt, randvoll gefüllt u.a. mit drei Packungen ohne grüne Gummibärchen. Den Brief von damals trage ich heute als Bühnennummer vor. Ich habe also unabhängig voneinander angefangen, zu zeichnen und zu schreiben. Die Idee für die Kritzel-Comedy hatte ich dann erst viel später.
Marx kam vom schwäbischen Altbach mit 7.000 Einwohnern über Umwege nach Bonn und studierte hier in Köln an der „ecosign/ Akademie für Gestaltung“ Illustration und Trickfilm. Nach Jahren als erfolgreicher Grafikdesigner mit vielen Auftragsarbeiten wuchs in ihm allerdings der Wunsch, eigene Ideen zu entwickeln, eigene Geschichten zu erfinden und sie mit eigenen Figuren zu bespielen. Seit 2017 ist er auf den Bühnen Deutschlands und Österreichs unterwegs.
Wie kam der Schritt vom gefragten Illustrator zum Kritzel-Comedian?
2015/16 war eine schwierige Zeit für mich. Ich war nicht glücklich mit dem, was ich tat, wusste aber nicht, was ich sonst beruflich machen sollte. In meinen Schubladen fand ich dann meine Texte und meine Zeichnungen, und so reifte in mir der Gedanke, beides zu kombinieren. Ein Bühnenformat in dieser Form erschien mir allerdings komplett brotlos.
Ein Freund, dem ich mein Leid geklagt hatte, meldete mich dann ohne mein Wissen beim „Kulturellen Adventskalender“ in Bonn an: Jeden Tag findet an einem anderen Ort eine kulturelle Veranstaltung statt. Ich erfuhr davon, als er mir die Programm-Broschüre in die Hand drückte, in der mein Name mit Termin stand. Innerhalb von zwei Monaten musste ich dann 15 Minuten Programm erarbeiten. Das ist schon viel für den Anfang.
Vor dem Auftritt war ich so aufgeregt wie noch nie. Aber das Format funktionierte, die Leute verstanden, dass das etwas Neues und Anderes ist, abseits von „meine Freundin kann nicht einparken“-Comedy. Ich habe eine neue Idee auf die Bühne gebracht. Danach kamen Auftritte auf offene Bühnen dazu.
2017 machte ich bei einem Wettbewerb in Österreich mit, und in der Jury saß auch mein späterer Agent, ein Österreicher. 2018 startete ich dann mein abendfüllendes Soloprogramm. Und so wurde aus einer waghalsigen Idee ein Beruf. Ich kann jetzt mein Geld damit verdienen. Bis heute traue ich dem noch nicht so ganz. Aber ich habe mich mal drauf verlassen, und das ging im letzten Jahr richtig gut, und seit Oktober 2018 habe ich auch eine deutsche Agentur dazubekommen.
Du musst Dich auf Tour immer mit Technikern auseinandersetzen. Ist das nicht schrecklich?
Ich liebe Techniker (lacht). Es gibt einen Tech-Rider, aber das Problem ist meistens: Den liest keiner. Aber ich habe mein Rollköfferchen mit Laptop, Ersatzlaptop, Beamer, Ersatz-Beamer und eine Leinwand dabei. Ich habe ordentlich zu schleppen.
Wieviel Waldorf steckt noch in Dir?
Man sagt mir nach, dass ich wie ein Hipster aussehe und ich werde mit Avocado, Chai Latte und Holzfällerhemd in Verbindung gebracht. Ich trug als einer der Ersten überhaupt (lacht) Vollbart, deshalb passt das mit dem Waldorfschüler ganz gut ins Konzept.
Finden diese Themen, wie z.B. dass Du in der Waldorfschule und in einem Elternhaus ohne Fernsehen groß wurdest, Eingang in Deine Geschichten?
Die Waldorfschule noch nicht, aber der Pausenhof-Gossip schon. Es gibt Tagebucheinträge von mir von 1998-1999, da schildere ich in kindlichen Formulierungen meine heimliche, erfolglose Liebschaft. All meine Krisenzustände sind Teil des Programms. Aufgewachsen im Schwabenland – erstes Trauma! Verschmähte Liebe auf dem Pausenhof – zweites Trauma! Kohlekraftwerk in meinem Heimatort und die Panik, was der Rauch mit einem macht – drittes Trauma! Das dann gepaart mit dem Gedanken, 30 zu werden und was das mit einem macht und der damit zusammenhängenden Frage, ob man sich einen Tischstaubsauger kaufen soll. Meine Freundin und ich haben neulich entschieden, dass wir ab sofort einheitliche Teller, Messer, Gabeln und Gläser haben wollen. Das erschreckt mich ein bisschen, aber es ist auch schön, wenn alles zusammenpasst.
Wer versteht Dich besser: Die Norddeutschen, die Süddeutschen oder die Österreicher?
Ich habe eine Konfettipistole dabei und auch lustige Mützen auf. Im Rheinland funktioniert Helge Schneider‘esker Humor ganz gut, krude und zauselig. In Süddeutschland lacht man gerne über sich selbst. Mein „Schwäbisch für Anfängerle“ und meine schwäbischen DIY-Bastelideen, z.B. „Mauldascha-Däschle“ oder „Kunschd aus Läberkäs“ lieben die Schwaben. In Norddeutschland ist das Publikum auf eine positive Weise unaufgeregt. Und ich bin auf der Bühne auch recht unaufgeregt, ich mache keine Gröl- und Schenkelklopfer-Comedy, es ist doch etwas subtiler.
Es werden auch nie alle immer alles gut finden. Aber was mich wirklich freut, ist, dass das Programm ganz gut für alle Altersklassen funktioniert. Am besten vor jüngerem, studentischen Publikum, weil die die Wort-Bild-Verknüpfung durch Social Media mit den ganzen Memes gewohnt sind. Die Älteren erfreuen sich mehr an den Beschwerdebriefen an Unternehmen.
Wie lange dauert eine Geschichte auf der Bühne?
Zwischen 3 und 8 Minuten.
Und wie lange brauchst Du, um eine Geschichte zu konzipieren, zu schreiben und zu zeichnen?
Erstmal tippe ich Ideen, Pointen und Themen ins Handy. Später setze ich mich hin und schreibe sie auf. Nachdem das Konzept steht, zeichne ich mindestens zwei Tage dran, und bereite sie dann digital auf, das dauert dann einen weiteren Tag.
Was machst Du im Sommer mit der Mütze?
Tatsächlich habe ich das öfter schon bereut, dass ich mir das so ausgedacht habe. Im Sommer wird es dann eine leichte Jersey-Stoff-Variante, die dann nicht so ballert. Vielleicht steige ich auch auf Badehaube um.
Webseite: www.micha-marx.de
Der Artikel erschien zuerst auf Meine Südstadt.