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Ich will nix anderes machen

Jamie Wierzbicki macht klassische Stand Up Comedy. Er tritt ohne Verkleidung auf und erzählt keine Witze, sondern plaudert aus dem Nähkästchen des Alltags. Und zwar so, als sei ihm das, was er erzählt, gerade an der Bar durch den Kopf geschossen: „Mein Ziel dabei ist es, dass die Zuschauer denken: Stimmt, so kann man das auch sehen.“

Ich habe Jamie oft auf offenen Bühnen gesehen und war fasziniert von seiner Offenheit und seiner Fähigkeit, sich über sich selbst lustig zu machen, und ich verfolge seine Storys auf Instagram. Wir treffen uns, um über seine Arbeit zu sprechen.

Woher kommt Dein Bedürfnis, Dich auf die Bühne zu stellen?

Wenn ich andere Comedians auf der Stand Up Bühne sehe, fasziniert mich der andere Blick auf den Alltag. Ich sehe das eher aus der amerikanischen Warte. Deutsches Kabarett gibt mir gar nichts. Der belehrende Ton gefällt mir nicht. In Deutschland lacht man gerne, wenn anderen etwas Dummes passiert; die viel zitierte Schadenfreude. In den USA und anderen Ländern zieht man sich eher selbst durch den Kakao. Man nimmt sich selbst nicht so ernst, und das finde ich sympathisch. Man öffnet sich, und das bricht Dinge auf und öffnet die Menschen. Das ist der Kern. Aber ich denke da nicht so bewusst drüber nach.

Was war der Moment, in dem Du wusstest, dass Du gerne Stand Up Comedy machen möchtest?

Ich war immer der Typ Klassenclown, aber nie der Beliebteste der Klasse. Dieses Ziel, im Mittelpunkt zu stehen und alle zum Lachen zu bringen, konnte ich in meiner Schulzeit nie erreichen. Und das versucht man, auf der Bühne nachzuholen. Das sehe ich bei vielen Kollegen auch. Dann sah ich auf youtube Videos vom Stand Up von Louis C.K. Und das war der Moment, in dem ich wusste, dass ich das auch machen will.

Zurück zur Schule. Wie ging das da weiter?

Ich habe mein Abi abgebrochen und mir eine Ausbildung gesucht. Zehn Bewerbungen gingen raus, und ich bekam direkt drei Zusagen. Im Nachhinein betrachtet habe ich mich für die schlimmste entschieden: Kfz-Mechatroniker. Da ich ja schon das Abi abgebrochen hatte, wollte ich nicht auch noch die Ausbildung abbrechen, und habe mich drei Jahre in einem Familienbetrieb ausbilden lassen. Die Erfahrungen, die ich da gemacht habe, sind noch gar nicht in mein Programm eingeflossen. Ich bin ja noch in der Comedy-Ausbildung. Da habe ich jetzt vielleicht gerade mal meinen Gesellenbrief.

Du lebst jetzt in der Südstadt, aber wo kommst Du eigentlich her?

Meine Familie kommt aus Schlesien, und ich bin am Niederrhein und im Ruhrpott großgeworden. Nachdem ich in Oberhausen das Abi auf dem zweiten Bildungsweg gemacht habe, bin ich zum Studium nach Köln gezogen. Köln stand außer Frage, weil hier die Hochburg der Comedy sitzt. Ich schrieb mich für Naturwissenschaften ein. Da stand ich also, einen Fuß in der Uni, den anderen in der Comedy.

Foto: Tamara Soliz

Wie geht man denn das erste Mal auf die Bühne? Überlegt man sich vorher einen Witz, den man in einem mutigen Moment dann anbringt?

Ich habe mich einen Monat auf das erste Mal vorbereitet. Damals lebte ich in Oberhausen und suchte eine offene Bühne. Mein Kern war ein Witz, den ich immer auf Partys anbrachte und der immer gut ankam. Jeder Comedian hat so einen Witz, mit dem er angefangen hat: der Witz, der immer funktioniert. Bei mir ist das der Witz mit meiner Oma.

Ich habe also 4-6 Wochen daran rumgebastelt, niemandem von meinen Plänen erzählt und in Unterhaltungen angetestet, ob das witzig ist. Dann hatte ich irgendwann 15 Minuten zusammen und habe bei einer offenen Bühne in Essen einen Termin gemacht. Als ich hinkam, saßen genau drei Menschen im Publikum, und es gab auch gar kein Mikrofon. Und ich dachte: „Nein! So will ich nicht bühnenentjungfert werden!“ Ich ging dann zu „Kunst gegen Bares“ mit Gerd Buurmann im Arttheater, wo jeden Montag 150 Leute im Publikum sitzen. Das war sehr geil. Ich war so aufregt und hatte einen guten Freund dabei. Das war am 24. Juni 2013.

Der zweite Auftritt fand in Solingen im Comedy Punch Club statt. Den besuchte ich mit meinem Mitbewohner als Gast. Der Veranstalter Markus Budde wusste, dass ich komme, und er fragte mich, ob ich nicht spontan auftreten wolle. Mir blieb das Herz im Hals stecken. Dann stand ich da auf der Bühne und hatte da einen sehr guten Auftritt. Das war Segen und Fluch. Denn die nächsten zwanzig Auftritte danach waren die Hölle. Ich hatte nicht mehr den ersten Auftritt, bei dem die Zuschauer viel verzeihen, und ich dachte, ich kann das jetzt. Aber es floppte immer wieder.

Mittlerweile trittst Du im Fernsehen auf, auch mit den Jungs von RebellComedy.

RebellComedy ist ein Comedy Ensemble mit vielleicht 6-10 festen Mitgliedern. Auf Tour nehmen sie auch Gäste mit, und ich war da öfter mal Stammgast und auf der großen Tour bei 20 Stopps dabei. In zwei großen Autos fuhren wir durch Deutschland, sechs Auftritte in einer Woche. Die letzte Tour hatte 64 Stopps, die letzten vier Auftritte fanden in der Schweiz statt, dann wurde die Show für den WDR aufgezeichnet.

Was sind Deine Themen? Ich mag Storytelling und alles, was nah am Leben ist. Ungern möchte ich in einer Schublade stecken. Man bekommt als Comedian immer gesagt: Du brauchst ein Alleinstellungsmerkmal! Das bedeutet in Deutschland aber immer: Du bist jetzt der Hausmeister, Du bist jetzt der Pole, Du bist jetzt der Dicke.

Das war von Anfang an für mich ausgeschlossen. Ich wollte neutral sein. Das ist doch die Kunst daran. Irgendwann kristallisiert sich dann der eigene Kern heraus. Es soll so sein, dass die Zuschauer wissen, sie bekommen eine besondere Perspektive auf die Welt. Nämlich meine. Das ist das Interessante und auch das Schwierige. Es soll thematisch etwas aus dem Alltag sein und doch nicht wirklich greifbar, so wie das Leben an sich. Kunst soll ja das Leben irgendwie darstellen.

Schreibst Du die Sachen am Tisch? Ich habe so viele Taktiken ausprobiert, wie ich an Material komme. Mit der Zeit weiß man, was funktionieren könnte und was nicht. Ich arbeite mit dem Handy und nehme mich auf. Oder ich renne im Zimmer auf und ab und laber vor mich hin. Dann erstelle ich eine Stichpunktliste, und der Rest passiert auf der Bühne. Als Musiker probt man im Bandraum, als Comedian probt man auf der Bühne, darum gibt es auch so viele offene Bühnen.

Würdest Du für Dich schreiben lassen? Man tauscht sich ja mit anderen aus. Aber im Kern würde ich mir nichts schreiben lassen. Es widerspräche der Grundessenz dessen, was ich will. Die Frage stellt sich mir also gar nicht.

Was ist der Moment der Momente?

Wenn ich eine Idee habe, auf die Bühne gehe und es funktioniert. Wenn die Leute gleich beim ersten Mal lachen. So stelle ich mir Drogen vor. Bei manchen Nummern bin ich noch Tage danach euphorisiert. Der Downswing ist dann aber auch dementsprechend groß. Das Beste an dem Job ist es, sich immer wieder neue Sachen auszudenken.

Du lebst jetzt davon?

Ja, aber ich muss aufs Geld achten. Ich habe ein Erdbeerglas, da steht LEBENSMITTEL drauf, da mache ich mein Kleingeld rein. Letztes Jahr hatte ich drei harte Monate. Da habe ich am Anfang des Monats 150€ ins Erdbeerglas gelegt. Sichtbar, damit ich sehe, dass ich noch Geld habe, um was zu essen zu kaufen. Aber ich will nix anderes als Comedy machen.

Das Interview erschien zuerst auf Meine Südstadt.

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