Auf High Heels durch den Amazonas
Am kommenden Wochenende (19.-21. August 2016) performen katze und krieg mit we are visual "auf der Straße" in Köln-Sülz. Auf der Webseite des Kölner Performance-Duos (Julia Dick und katharinajej) erfährt man:
Zwei Wochen leben die vier KünstlerInnen auf den Straßen von Köln und erarbeiten in diesem anderen Leben die Performance auf der Straße. Die Aufführungen finden am Freitag, 19.8., Samstag 20.8. und Sonntag, 21.8.2016 jeweils um 18 Uhr in Köln Sülz statt. Die wohl bekannten, altvertrauten, tausendmal begangenen Straßen der eigenen Stadt werden andere sein. Bei Kartenreservierung wird der genaue Treffpunkt bekannt gegeben. Kartenpreis 7/12 Euro, ermäßigt auch für Künstler.
Vor drei Jahren lernte ich Julia und Katharina kennen. Ich interviewte sie in Julias Wohnatelier im Neuen Kunstforum. katharinajej nannte sich damals noch Katharina Lima.
Julia Dick begrüßt uns in ihrem Wohnatelier im Neuen Kunstforum. Hier lebt sie seit vier Monaten. Zuvor wohnte sie in Nippes. Ihre Hände beim Begrüßen sind warm und feucht, sie hat gerade abgespült. Julia ist zusammen mit Katharina Lima das Performance-Duo 'katze und krieg', das seit 2007 im öffentlichen und halb-öffentlichen Raum seine Performances macht (..) Wir sitzen auf Kissen in Julias Wohnzimmer mit vielleicht fünf Meter hoher Decke. Es gibt Wasser. Die Sonne scheint durch die mannshohen Fenster. Wie kommt man auf die Idee, ein Performance-Duo zu werden?
Lima: Wir haben uns 2007 an der Kunsthochschule in Braunschweig kennen gelernt und eine erste gemeinsame Arbeit ('Liebesgeschichten') gemacht. Dann hatten wir neue Ideen, ähnliche Interessen, und einer Arbeit folgte der anderen…
Dick: Das war ein langsamer Prozess, wir haben uns durch unser Tun gefunden.
Lima: Wir finden uns aber auch immer weiter. Es gibt immer wieder neue Ideen.
Wie kam es zu dem Namen 'katze und krieg'?
Lima: Wir hatten mal einen Workshop. Die Aufgabe war, dass jeder etwas improvisiert, ohne andere zu involvieren. Julia spielte einen Freak, ich eine Katze. Und als Katze ließ ich mich von Julia streicheln. Das war plötzlich ein emotionaler Moment, und ich musste weinen. Auch die anderen merkten, dass gerade etwas Besonderes im Raum passiert. Aber der Workshop-Leiter hat uns rausgeschmissen, weil wir die Aufgabe nicht erfüllt haben. Aus Katze und Freak wurde dann 'katze und krieg'. Wir sollten uns nicht begegnen, taten es aber doch. Wir haben die Regel gebrochen. Es war ein emotionaler Moment. All das repräsentiert auch unsere Arbeit. Und Katze und Krieg, das sind auch einfach zwei gegensätzliche Pole, zwischen denen wir wandeln. Warum seid Ihr von Braunschweig nach Köln gekommen?
Dick: Wir wollten nicht nach Berlin. In Berlin herrscht eine Übersättigung an Künstlern. Dorthin geht man, wenn man etwas ganz Neues aufbauen möchte. Unsere Kunst besteht eher darin, in bereits vorhandene Räume, existierende Strukturen zu intervenieren. Und langjährig existierende Strukturen finden wir in Köln.
Lima: Zudem hatten wir schon Kontakt zur Studiobühne und dem Theater am Bauturm. Außerdem wollten wir beide in eine etwas kleinere Stadt, in der man alles mit dem Fahrrad erreichen kann. Wir wollten vor allem auch gemeinsam in der gleichen Stadt wohnen und haben uns so auf Köln geeinigt.
Was unterscheidet eine gute von einer schlechten Performance?
Lima: Ich will emotional berührt werden. Eine Performance soll etwas mit mir machen. Nicht nur unterhalten, sondern verwirren, etwas aufkratzen. All das soll man in unseren Performances finden.
Dick: Der Performer selbst macht auch eine Erfahrung, er stellt sie nicht dar.
Lima: Eine schlechte Performance ist für mich, wenn ich etwas sehe, was ich sofort wieder vergesse - die Performance, bei der bei mir gerade eben gar nichts passiert.Für unsere eigenen Performances stecken wir uns vorher einen Rahmen und stellen Regeln auf. Wir arbeiten stark mit Improvisation. Uns interessiert, im Moment selbst Entscheidungen zu treffen, weniger, etwas zu repräsentieren. Dieses ‚im Moment’ ist in unseren Performances fast unabdingbar, denn fast alle unsere Performances finden im öffentlichen Raum statt, das heißt, wir arbeiten mit Fremden und in unabsehbaren Situationen und wissen nicht, wie die Menschen auf uns reagieren und was passieren wird. Auf einer Bühne hat man eher alles unter Kontrolle, und das interessiert uns weniger.
Habt Ihr Vorbilder? Besonders populär ist ja gerade Marina Abramovic mit der Dokumentation "The Artist is present".
Dick: Abramovic hat uns sicher geprägt, weil sie eine einflussreiche Performance-Künstlerin ist. Sie hat auch an unserer Kunsthochschule in Braunschweig gelehrt. Sie inszeniert kleine Dinge wie "sich-in-die-Augen-schauen" ganz groß, und dadurch werden diese kleinen Dinge plötzlich auch ganz groß. In ihren frühen Arbeiten geht es auch stark um Körpergrenzen. In diesem Punkt grenzen wir uns von ihr ab. Unser Fokus liegt stärker auf Verhaltensgrenzen.
Lima: Wir haben sicher von Marina Abramovic gelernt. Aber dann macht man seine eigenen Sachen. Wirklich berührt haben mich die Arbeiten von Christoph Schlingensief, der auch in Braunschweig gelehrt hat. Ansonsten gefällt mir auch die Arbeit von Markus Gustav Brinkmann.
Dick: Jiri Kovanda und auch The Yes-Men finde ich spannend. Oder die Theatergruppe 'Forced Entertainment'.
Lima: Im Studium haben wir viele Performance-Künstler kennen gelernt, auf Performance-Festivals, auf denen wir auftreten, oder wenn wir die Arbeiten unserer Kollegen sehen.
Videointerview auf Englisch zu der Performance von 2014
Wofür steht Eure Arbeit, wofür steht Ihr?
Lima: Für Performances im öffentlichen Raum! Dafür, selbst und bewusst zu handeln, spielerisch mit den Leuten in Kontakt zu kommen, und festgefahrene Verhaltensstrukturen zu penetrieren.
Dick: Konventionen in Frage zu stellen.
Lima: Wir beobachten Verhaltenskonventionen, und uns macht es Spaß, neue Verhaltensweisen auszuprobieren.
Dick: Es soll ein Moment der Befreiung stattfinden. Ich hoffe, dass, wenn dieser Moment bei mir eintritt, es dann auch beim Zuschauer eintritt.
Lima: Wir versuchen, die urbane Anonymität durch Gemeinschaft zu unterbrechen. An die Stelle von Funktionalität und Rationalität treten Emotionalität und Spiel.
Dick: Wir haben auch eine Anti-Konsum-Haltung.
Lima: Genau. Und wir sind Utopisten. Wir haben große Vorstellungen, an die wir glauben. Wir arbeiten viel mit Glauben und Wünschen. Einer Verrückung, wo andere mit Vernunft kommen. Wir träumen das Unmögliche und kriegen es dann auch hin, irgendwie. So sind wir einmal an den Amazonas gereist. In diesem Fall fiel ein wichtiges Thema unserer Arbeit - 'Urbanität' - weg. Aber auch da haben wir dann an unseren eigenen Verhaltensgrenzen gearbeitet. Wir wollten nachts Krokodile beobachten, sind in den Dschungel gegangen, haben ein verlassenes Haus aufgesucht und Ananas von fremden Plantagen gegessen.
Dick: Wir sind auf High Heels, in sexy Kleidchen und mit Perücken durch den Amazonas gelaufen, als Übersteigerung unserer selbst, als Übersteigerung des urbanen Europäers. Unsere Arbeiten dokumentieren wir mit Fotos und Videos. Aus der Galerien-Szene halten wir uns raus. Das ist ein Markt, eine eigene Wirtschaft. Von uns kann man keine materiellen Produkte kaufen, sondern Erfahrungen. Wir machen Performances für wenige Zuschauer, mit denen dann aber hoffentlich auch wirklich etwas passiert.
Habt Ihr eine Zielgruppe?
Lima: Wir haben zwei Zielgruppen: Die eine kauft Karten, und der anderen begegnen wir zufällig auf der Straße. Wir sind für alle Menschen offen. Wobei wir keine Kinder, Jugendlichen und Betrunkenen auf der Straße ansprechen. Die, die wir ansprechen, sollen schon möglichst begreifen, was da gerade passiert, und auf Augenhöhe mit uns sein. Wir wollen niemanden vorführen.
Dick: Im dritten Teil von "Wir wollen überleben" sind wir durch Kneipen gezogen. Diejenigen, die uns angelächelt und auf uns augenscheinlich reagieren haben, sprachen wir dann an.
Lima: Wenn jemand ausstrahlt, dass er nicht mitmachen will, dann sprechen wir ihn auch nicht an. Die Menschen sollen offen sein für eine Begegnung.
Welches Gefühl wollt Ihr beim Zuschauer auslösen?
Lima: Er soll spüren: Es ist anders möglich, als ich es dachte. Alles / die Menschen / die Welt ist anders, als ich dachte.Dick: Er soll die Welt anders sehen. Ein beglückendes, befreiendes Gefühl.
Mehr im Netz:
Der Artikel erschien im Mai 2013 auf Meine Südstadt