Lebenslänglich Lehrerkind
Als Bastian Bielendorfer 2010 bei Günther Jauch auf dem Kandidaten-Stuhl saß, gewann er nicht nur 32.000 Euro, sondern bekam auch Tage später, weil er da so witzig war, einen Buchvertrag und wurde im Jahr darauf Beststellerautor. Als er in der Harald Schmidt Show als Talkgast saß, wurde er, weil er da so witzig war, dessen nächster Sidekick, leider nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit, weil nur auf dem Bezahlsender Sky zu sehen. Das Buch „Lehrerkind“ ist heute in der 24. Auflage erhältlich. Mittlerweile gibt es drei Bücher, und in allen arbeitet Bielendorfer sich an der Beziehung zu seinen (Lehrer-)Eltern ab. Seit 2015 Jahr steht er mit genau seinem Buchthema auf Stand Up Bühnen Deutschlands und erzählt die Geschichten aus seinem Leben live vor Publikum. Der Gelsenkirchener ist mittlerweile auch Diplom-Psychologe und lebt mit Frau und Hund in der Südstadt. Ich traf den Stargast der letzten „Großen Show des kleinen Unglücks“ im WIPPN´BK.
Foto: Guido Engels
Wie lebt es sich in der Südstadt? Susis Caffebar ist das Lebenselixier: Die nettesten Kellnerinnen und die netteste Chefin der Welt, das muss man wirklich sagen. Das Café Walter. Das Massimo, wo man nie sitzen kann, weil die Kellner es nicht hinkriegen, einen Platz zu reservieren, wo das Essen aber so gut ist, dass man trotzdem wieder hingeht. Das Wippenbeck. Es ist das Viertel in Köln mit dem weltmännischsten, kosmopolitischsten, schönsten Gefühl. Hier vermengt sich alles: arm und reich, jede Kultur ist vertreten, viele Snobs, aber auch das Johanneshaus und viele Sozialbauten, die wiederum umrahmt sind von Altbauwohnungen mit 300qm. Und aus irgendeinem Grund erzeugt das keine Spannung, sondern eher einer Art Entspannung. Ich finde das ganze Gefühl, hier in der Südstadt zu wohnen, besonders angenehm. Was ist eigentlich das Schwierige daran, ein Lehrerkind zu sein? Normalerweise hast Du als Kind keine wirkliche Vorstellung, was Deine Eltern beruflich machen. Sind sie Lehrer, dann weißt Du das schon sehr früh. Noch schlimmer ist es, wenn Deine Eltern in Deiner Schule omnipräsent sind. Deswegen war das Buch so erfolgreich, und deswegen fühlen sich so viele Lehrerkinder davon angesprochen. Die Erfahrungen sind aber auch unterschiedlich. Wenn ich mit anderen Lehrerkindern spreche, haben manche bittere Erfahrungen gemacht, weil ihre Elternhäuser sehr leistungsgetrieben waren. Bei mir war das auch schon so, aber ich hatte auch eine Laissez-faire-Erziehung, weil meine Eltern immer auf ihre Gene gepocht haben. Als ihr Produkt dürfte das alles ja kein Problem sein. Hast Du Tipps für andere Lehrerkinder? Im Endeffekt sollte man dankbar sein, dass man in einem Haushalt groß wird, in dem Bildung überhaupt ein Thema ist. Die ersten Jahre unseres Lebens entscheiden darüber, was vielleicht irgendwann mit uns wird; die Veranlagungen und die Interessen. In einem Lehrerhaushalt ist die Bildung auf jeden Fall gesicherter als in einem Haushalt, in dem Bildung überhaupt keine Rolle spielt. Auf der anderen Seite ist es nicht einfach, wenn die Eltern so omnipräsent und überkontrollierend sind. Man sollte mit 18 Jahren ausziehen, so wie ich es getan habe. Kontakt kann man ja über das Internet halten. Wie oft siehst Du Deine Eltern?
Einmal im Monat. Ich fahre hin. Meine Eltern kommen nicht mehr so häufig. Sie sind beide Mitte 60, und die Parkplatzsituation ist so schlecht... Der Moment, in dem Dir bewusst wird, dass Deine Eltern alt werden, ist wenn sie Sätze sagen wie: es wird schon dunkel, wir können nicht mehr rausfahren.
Foto: Tamara Soliz Bekommst Du viel Fanpost? Ja, schon. Das Berührendste, was ich je bekommen habe, war von einer Frau aus einem Hospiz. Sie hatte dort eine alte Dame bis zu ihrem Tod betreut. Die alte Dame konnte nicht mehr lesen, und die Pflegerin las ihr meine drei Bücher vor. Die Frau hatte am Ende ihres Lebens noch so gelacht, dass sie mir dafür danken wollte. Das Skurrilste an Fanpost war die Nachricht: „Meine Schwester heiratet nächste Woche. Sie hat Ihre Bücher gelesen. Wäre es da nicht angebracht, dass Sie ihr ein kleines Geschenk überreichen?“ Das rührt von der Vorstellung der Menschen, dass sie mich kennen, weil sie mich sehen, hören und lesen, und die Bücher entsprechen auch sehr stark meiner Person. Für die bin ich so vertraut wie ein Bekannter, und wenn sie mich treffen, behandeln sie mich auch so. Aber ich kenne sie ja gar nicht. Sind die Geschichten genau so passiert oder von der Realität inspiriert? Du schreibst bei Facebook immer lustige Dialoge zwischen Deiner Frau und Dir auf. Die Geschichten sind sehr stark inspiriert. Oft gibt mir meine Frau einen Knaller vor, und ich mache den Rest drumrum. Kürzlich sollte ich Haarspülung kaufen, und dann hielt sie mir einen Vortrag darüber, was der Unterschied zwischen Bedarf und Bedürfnis ist. Ich hörte mir diese absurde Management-Powerpoint-Präsentation an, und irgendwann musste sie selbst lachen. Dann bin ich in den Laden, habe die falsche Spülung gekauft, und zu Hause habe ich mich dann hingesetzt und eine Nummer daraus geschrieben. Viele der Sprüche sind schon exakte Zitate meiner Frau. Ist das bei den Büchern auch so?
Die Bücher entsprechen nicht zu 100% der Wahrheit, denn sie sind ja auch keine Tatsachenberichte der CIA. Es ist natürlich manchmal künstlerisch überhöht. Manchmal aber auch nicht. Die Grundstruktur der Menschen, die dort vorkommen, die Personenbeziehungen und die Sprüche, die Ereignisse wie der 1. April - das sind Dinge, die passiert sind. Wie gehen Deine Eltern damit um, dass man als Leser vermeintlich hinter die Kulissen guckt? Mein Vater kommt damit gut klar, er macht auch mit alten Schülern Fotos, gibt Unterschriften und kommt auch zu den Shows. Meine Mutter kann nicht so gut abstrahieren und ist oft unzufrieden damit, wie sie dargestellt wird und befürchtet, dass die Leute sie falsch verstehen. Ich versuche, ihr zu erklären, dass das keine Relevanz hat. Im Endeffekt, und das ist das Wichtigste in den Büchern, bin am Ende ja immer ich der Depp. Das soll immer die Prämisse sein. Es soll nicht das Bild entstehen, dass meine Eltern Tyrannen sind. Wenn mir Leute sowas schreiben, stellt sich oft heraus, dass sie das Buch gar nicht gelesen haben oder nur fünf Seiten. Der wahre Leser erkennt relativ schnell, dass da sehr viel Respekt und sehr viel Liebe drin steckt.
Du hast mit Poetry Slam angefangen und bist da auch schon auf die Bühne gegangen. Als Lehrer tritt man ja auch vor ein Publikum – die Klasse. Als Lehrer hast Du allerdings das undankbarste Publikum der Welt. Ich habe in meiner jetzigen Arbeit in 99,8% der Fälle das große Glück, dass mir die Menschen, vor denen ich rede, zugewandt sind. Ein Lehrer hat in 98% der Fälle die Situation, dass keiner, aber auch keiner hören will, was er zu erzählen hat. Die wirklich guten Lehrer sind die, die es hinkriegen, die Schüler trotzdem einzusammeln. Ich hatte einen Deutschlehrer, der hat selbst die tumbesten Nüsse in der Klasse dazu gebracht, freiwillig Moby Dick zu lesen. Weil er über das Buch so gesprochen hat, als wäre es so spannend wie ‚Call of Duty’. Das sind die besten Lehrer, die es gibt. Was ist bei Dir das Eigentliche des Berufs, und was ist das Drumrum, das Du in Kauf nimmst? Die Bühnenarbeit ist der Kern. Schreiben ist schön und gut, und ich möchte mich nicht beschweren, denn ich kann mir aussuchen, ob ich mich im Park auf eine Decke setze und schreibe oder in ein Café, aber alles hängt im Endeffekt von den 90 Minuten auf der Bühne ab. Das ist der größte Pay Off, den Du haben kannst. Da zahlen Menschen Eintritt, um für mich zu klatschen. Natürlich muss ich auch was leisten und was bieten. Wenn ich nicht gut bin, funktioniert es nicht. Aber trotzdem gibt es kaum einen Künstler, der sagt: ich arbeite nicht gerne auf der Bühne. Als Bühnenkomiker sollte man gerne auftreten. Ich kenne Kollegen, die haben riesiges Lampenfieber. Ich habe glücklicherweise noch nie Lampenfieber empfunden. Ich war noch nie aufgeregt vor einem Auftritt. Ein Auftritt ist das Schönste auf der Welt. Manche Komiker sollen ja wegen Lampenfieber sogar Alkohol trinken vor dem Auftritt?! Es ist völlig unterschiedlich, wie Menschen auf Alkohol reagieren. Vor einer TV-Spielshow habe ich mit einem Kollegen vorher Sekt getrunken. Es war sehr, sehr unangenehm, und ich würde mir das nicht mehr antun. Es gibt einige Kollegen, wo es nicht ohne Alkohol geht, und denen würde ich raten: mach was Anderes! Wenn ich das, was ich tue, nur tun kann, weil ich angetrunken oder so angeschäkert bin, dass ich es ertrage oder innerlich schaffe, dann mache ich das Falsche. Du hast Dein Psychologie-Studium jetzt erfolgreich beendet. Machst Du jetzt irgendwas in der Richtung? Nein. Aber meine Erkenntnisse aus der Psychologie fließen wohl ins nächste Programm ein. Hast Du Vorbilder oder großen Respekt vor Kollegen? Ich kann sehr über Jimmy Carr lachen, der macht Insult Comedy mit Selbstironie; ohne Hass, eher mit elaboriertem Zynismus. Da gibt es die großen Amerikaner wie Louis C.K. und Bill Burr. In Deutschland lache ich am meisten über jemanden, mit dem ich schon seit Jahren befreundet bin und den ich noch aus Zeiten kenne, in denen niemand uns kannte: Torsten Sträter. Wenn Sträter auftritt, habe ich Tränen in den Augen vor Lachen. Sind Deine Eltern stolz auf Dich?
Ja. Und es ist eine westfälische, pragmatische Art von Stolz. Meine Eltern waren stolz, dass ich das Diplom jetzt fertig habe. Als ich ihnen die Urkunde gezeigt habe, hatten beide Tränen in den Augen. Nach einer halben Million verkaufter Bücher hat mein Vater gesagt: „Richard David Precht hat aber mehr verkauft.“ Es ist eben eine andere Art von Stolz. Innerlich sind sie schon stolz und haben zu Hause alle meine Bücher in hundertfacher Ausfertigung, und wenn Bekannte kommen, bekommen sie eins. Und alle von Dir signiert? Nö, alle von ihnen signiert. Vielen Dank für das Interview. Mehr im Netz Homepage
Das Interview erschien zuerst auf Meine Südstadt.